Aktuelles

Auch wenn wir in unserem direkten Umfeld keine aktuellen Fälle von „geistlichem Missbrauch“ wahrgenommen haben, so liegt das Thema doch im Zuge der kirchlichen Aufarbeitung der Missbrauchskrise gewissermaßen „in der Luft“ – und deshalb griff die Hausleitung unseren Programmvorschlag auf und organisierte einen Studientag mit Spiritual Andreas Schmidt sowie Regens Wolfgang Lehner als externen Referenten vom diözesanen Münchener Priesterseminar.

Als Tatbestand lässt sich „geistlicher Missbrauch“ strafrechtlich und kirchenrechtlich meist kaum fassen. Dennoch sind die Folgen für die Betroffenen ernst, wie Spiritual Schmidt als geistlicher Begleiter zu berichten wusste: Ziellosigkeit und Entscheidungsschwäche, Minderwertigkeitsgefühle, Selbstvorwürfe, soziale Isolation, Trauer über verpasste Lebenschancen und Depressionen bis hin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung. So wirken die eingepflanzten toxischen Gottesbilder auch nach einer Trennung von dem missbräuchlichen Umfeld noch lange fort – „It is easier to get out of the cult, than to get the cult out of you.“ Den Tätern selbst hingegen fehlt oft das Unrechtsbewusstsein, handeln sie doch aus ihren Glaubensvorstellungen heraus durchaus konsequent: Berufungen „müssen angenommen werden“, die eigene Gemeinschaft wird gegenüber anderen idealisiert, die einzelne Person entwertet, ihr Wohlbefinden mit frommen Maximalforderungen missachtet, Vergebung wird zur Pflicht, geistliche Begriffe werden umgedeutet, Gehorsam gegenüber Gott in Gehorsam gegenüber Leitungspersonen. Um die verschiedenen Abstufungen besser einordnen zu können, hat die Evangelische Allianz einen Fragebogen mit einem Ampelsystem entwickelt (https://www.ead.de/kontakt/plattform-religioeser-machtmissbrauch/hilfe-bei-religioesem-machtmissbrauch/), das auf einem Spektrum sowohl Kennzeichen eines gesunden als auch eines ungesunden geistlichen Klimas darstellt:

  • Wird Lernbereitschaft gefördert?
  • Gilt Wertschätzung jedem?
  • Gibt es Raum für Zuhören und Ruhe?
  • Wie wird auf Anliegen und Kritik geantwortet? (abwägende und sachliche Reaktionen auch bei „suboptimaler“ Kritikform)
  • Darf alles kommuniziert werden? (geeignete und allen bekannte Feedbackkultur, sodass auch abweichende Meinungen und Gefühle zur Sprache kommen dürfen)
  • Wie ist der Umgang mit Grenzen? (Einhalten von Vereinbarungen, seelsorglichen Grenzen wie Beichtgeheimnis und Verschwiegenheit)
  • Wie klar sind Zuständigkeiten? (Ansprechpersonen nehmen Anliegen auf, nicht eine Person ist für alles zuständig, Dinge versanden nicht)
  • Wie wird mit Vertrauen, Respekt und Unterordnung umgegangen; werden sie möglicherweise sogar eingefordert?
  • Wie wird Kritik eingebracht? (klare, wertschätzende und konstruktive Äußerung, Bereitschaft für fachliche Hilfe von außen)
  • Werden Gott oder Menschen groß gemacht? (Steht Gottes Größe im Vordergrund, oder die von bestimmten Persönlichkeiten?)
  • Wie ist der Umgang mit Bibel und Tradition? (ergebnisoffen oder nur eine mögliche Auslegung?)
  • Bleiben die Menschen frei in ihren Entscheidungen? (Möglichkeit, sich gegen eine Veranstaltung, Gruppe, Person etc. entscheiden zu können)
  • Welche Qualität hat Ihre Einbindung, bzw. die anderer? (selbstbestimmte Entscheidungen)
  • Wie ist der Umgang mit anderen Gruppen und Abweichlern?
  • Was fällt bei der Struktur der Organisation auf? (transparente Machtverteilung, niemand hat allein die letzte Entscheidungsbefugnis)

Vor diesem Hintergrund analysierten wir im zweiten Teil des Studientages mit Regens Lehner die Strukturen der Seminarausbildung im Allgemeinen und des Georgianums im Besonderen. Bereits das Abstecken der Themenfelder für ein „Institutionelles Schutzkonzept“ vermittelte uns eine Ahnung von der Komplexität und Dringlichkeit der zu bearbeitenden Materie: Risikoanalyse unter Berücksichtigung von Macht- und Wissensgefällen (Wie werden beispielsweise die Regenten kontrolliert?), Verhaltenskodex (Kommunikation in Person und Raum, Nähe und Distanz, Rückmeldekultur), Aufgabenteilung zwischen Heimatdiözesen und Georgianum, Führung der Personalakten, Fortbildung, Beschwerdemanagement, Aufarbeitung, Qualitätsmanagement, Verschränkung mit einer aktuellen Ausbildungsordnung der Heimatdiözesen wie des Georgianums usw.

All diese notwendigen strukturellen Maßnahmen laufen aber wohl auf eine (scheinbar) simple Grundhaltung hinaus: „Gute Kommunikation transparent herstellen, das wär’ mal was!“, so der spontane Ausruf eines Seminaristen.

 

Literaturhinweise

Evangelische Allianz (2021): Leitfaden zum Umgang mit religiösem Machtmissbrauch  https://www.ead.de/kontakt/plattform-religioeser-machtmissbrauch/hilfe-bei-religioesem-machtmissbrauch/

Mertes, Klaus (2019): Geistlicher Missbrauch. Theologische Anmerkungen. In: Stimmen der Zeit 2/2019 https://www.herder.de/stz/hefte/archiv/144-2019/2-2019/geistlicher-missbrauch-theologische-anmerkungen/

Tempelmann, Inge (2020): Geistlicher Missbrauch: Auswege aus frommer Gewalt - Ein Handbuch für Betroffene und Berater